Der Reiz des Fremden

Dirk von Lowtzow, Sänger und Gitarrist der deutschen Band Tocotronic, gilt als einer der besten Texter seiner Generation. Für Angela Richters Inszenierung von Jon Fosses Stück „Tod in Theben“ schrieb er die Musik. Ein Portrait.

 

Popmusik und gute Texte – das galt, so komisch es auch klingen mag, Anfang der Neunziger Jahre einmal als so unvereinbar, dass man für Bands wie Tocotronic und Blumfeld, die genau das taten, nämlich Popmusik mit anspruchsvollen deutschen Texten zu schreiben, den seltsam klebrigen Begriff „Diskurs-Rock“ erfand. Heute, beinahe zwanzig Jahre später, ist sich das deutsche Feuilleton immer noch einig, wenn es darum geht, die Musik von Tocotronic als außergewöhnlich, stilprägend, ja sogar als „prophetisch“ zu bezeichnen. Verantwortlich dafür sind wohl vorrangig Dirk von Lowtzows Texte, die oft abstrakt, meist abgründig, niemals aber platt um die großen Fragen des menschlichen Daseins kreisen, gepaart mit einer Haltung, die immer widerständig war und auch heute noch ist.

„Eure Liebe tötet mich. Auch wenn ihr bereut, ich verzeih euch nicht“ singt er auf „Schall und Wahn“, dem soeben erschienenen neuen Tocotronic-Album, und das Rascheln im deutschen Blätterwald ist ihm ob dieser Unbarmherzigkeit ebenso gewiss wie schon für den Vorgänger, auf dem er zur „Kapitulation“ ausrief und dafür im deutschen Feuilleton erst einmal Kopfschütteln erntete. Wie denn auch soll das zusammen passen: Ein Intellektueller, der das bedingungslose Strecken der Waffen als große Geste verkauft? Ob als Statement gegen den Zeitgeist gedacht, verpackt in eine nette Melodie oder doch nur Zynismus in Reinkultur? Egal. Entrüstung allerorts. Wir wollen schließlich weiterhin mit dem SUV zum Biomarkt fahren und uns dabei gut fühlen. Ein nettes Liedchen auf den Lippen? Ja. Aber ohne Zynismus bitte.

 

Kapitulation, Resignation, Theaterbetrieb?

„Eure Liebe bringt mich ins Grab. Jeden Tag senkt ihr mich tiefer hinab“, singt von Lowtzow heute, zwei Jahre später und wird dabei vom mannschaftsdienlichen Spiel seiner Band musikalisch grenzgenial in Szene gesetzt. Auf die Kapitulation folgt nun also die Resignation. Denn „Die Folter endet nie. Wir sind für sie geboren.“ Die Nummer eins in den deutschen Album-Charts, die man trotz oder gerade wegen solcher Texte erzielt hat, will von Lowtzow keine besondere Bedeutung beimessen. „Das ist doch nur ein Symbolwert, nicht mehr“, sagt er.

 

Aber was folgt nach Kapitulation und Resignation? Etwa die Auferstehung im Theaterbetrieb? Dass Dirk von Lowtzow die Musik zu Jon Fosses Stück „Tod in Theben“ beisteuert, blieb von den Medien zwar bislang weitgehend unentdeckt, ist deshalb aber um nichts weniger sensationell. Er selbst jedoch winkt ab. „Zu Angela Richters Aufführungen hab´ ich schon mehrmals Musik beigesteuert. Wir sind ein eingeschworenes Team“, erzählt er. Freilich unterscheiden sich seine Kompositionen für das Stück ganz wesentlich von seiner sonstigen Arbeit. Normal feinsinniger Songwriter, arbeitet er hier ganz minimalistisch. Und die Arbeit an sich sei viel prozessualer als bei Tocotronic. „In den Proben entwickelt das eine eigene Dynamik, der Anteil an Musik verändert sich, manches wird gestrichen.“ Was ihm und seiner Arbeitsweise aber entgegen komme: „ich bin ein besserer Wegschmeißer als Sammler.“ Und auch mit dem Umstand, dass er seine Babys irgendwann aus der Hand geben müsse und andere Leute dann verändern, kürzen etc, hat er kein Problem: „Das ist doch schön. Am liebsten würde ich alles aus der Hand gegen.“ Wie heißt es doch gleich in einem aktuellen Song von Tocotronic: „Was du auch machst, mach es nicht selbst!“ Das gelte übrigens auch für die Interpretation der eigenen Texte, so von Lowtzow. Leider werde man immer wieder dazu gedrängt, weil es ein generelles Misstrauen gegen das Unverständliche gäbe.

 

Ob nun ein besonderer Reiz darin liege, fürs Theater zu arbeiten darüber habe er eigentlich nie wirklich nachgedacht, fährt er fort. Von einer bewussten Hinwendung zum Theater als „einem der letzten Orte, an denen noch nachgedacht werden könne, ohne dass es sich ökonomisch rechnet“, wie es Kollege Schorsch Kamerun (Sänger der Goldenen Zitronen und mittlerweile auch Regisseur und Performer), einmal formulierte, kann demnach keine Rede sein. „Ich wurde gefragt, ob ich die Musik mache und hab´ Ja gesagt!“

 

„Missverstehen ist konstitutiv“

Auch wenn es also durchaus reizvoll sein dürfte, den schmuddeligen Backstage-Bereich einer durchschnittlichen Rock-Location gegen den Champagner-Empfang bei den Festspielen zu tauschen. „In Hinblick aufs Theater habe ich keine besonderen Ambitionen“, so der Hamburger. Oft sind die Dinge eben einfacher, als es den Anschein hat. Ein Gefühl, das er angesichts der gezwungen autobiographischen Interpretationen seiner Texte durch das definitionssüchtige deutsche Feuilleton nur allzu gut kennen dürfte. „Mein Ruin ist was mir bleibt, wenn alles andere sich betäubt…? – Wie ist das denn gemeint? Empfinden Sie Ihr Leben tatsächlich als so ausweglos?“ Genau diese Sätze, deren Bedeutung sich oft erst beim wiederholten Hören erschließt, die sich aber gerade deshalb umso heftiger ins Gedächtnis brennen, sind es doch, die das Besondere dieser Texte ausmachen und einer ganzen Generation der Twenty-Somethings als Identifikationsmodell dienen.
„Pop-Musik, wenn sie gut ist, wohnt immer ein ganz besonderer Zauber inne“, ist von Lowtzow überzeugt, der mehr mit dem Verstehen der Musik als dem Verstehen der Texte zu tun habe. Umso mehr, wenn man aus einem deutschsprachigen Land komme und von frühester Jugend an mit angloamerikanischer Pop-Musik sozialisiert sei. Dann, so von Lowtzow, sei das Missverstehen von Texten ja geradezu konstitutiv für den Umgang mit Pop-Musik. „Dieses Fremdartige macht doch auch viel vom ihrem Reiz aus.“

 

Insofern hat er in Jon Fosse wohl seinen geistigen Bruder gefunden. „Meine Stücke bestehen aus leerem Gerede, das mit Emotionen aufgeladen ist oder Durchschnittserfahrungen mit verborgenen Absichten“ meinte der norwegische Dramatiker einmal im Interview. Mit umso größerer Spannung ist seine Gesamtfassung der drei großen Sophokles-Dramen im Rahmen des Young Directors Project zu erwarten: Zum Prinzip erhobenes Understatement, das auf Tragödie trifft, könnte sich als hochexplosive Mischung erweisen. Zumal sie von der unterkühlten und dennoch tief schürfenden Musik von Dirk von Lowtzow untermalt wird.

 

Und dennoch: Ein ganz wesentliches Rezept im Umgang mit Dirk von Lowztow, seiner Musik und seinen Texten dürfte wohl sein, dass man sie genau liest und dennoch nicht ganz ernst nimmt. Humor ist wenn man trotzdem lacht und Humor hat Dirk von Lowtzow einigen. Am Ende unseres Gespräches meint er, falls das, was er mir erzählt habe, für einen Artikel nicht reiche, solle ich doch einfach irgendetwas erfinden, das sei schon in Ordnung für ihn. Und wer ihn und seine Musik kennt, weiß, dass es ihm durchaus ernst damit ist. Vielleicht beweist man ja irgendwann wirklich großen Mut, indem man diesen Mann nicht nur im Hintergrund eines Stückes agieren lässt, sondern ihm den Auftrag erteilt, ein Stück zu schreiben. Für die Salzburger Festspiele. Große Kunst, die ständig zwischen der Aneignung von Pop-Mechanismen und einer verinnerlichten Anti-Haltung changiert – gemacht von jemandem, der seine Kunst, nicht aber sich selbst wichtig nimmt. Geradezu revolutionär wäre das.