Kampfansage

Starke Frauenrollen bei den Salzburger Festspielen: Vor allem in Wedekinds „Lulu“, Hauptmanns „Rose Bernd“ und Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzenzk“ begegnen uns Frauen, die sich behaupten wollen. Frauen, die trotz ihrer Stärke zum Äußersten getrieben werden und letztlich an der Gesellschaft scheitern. Aber wie sehen das die an den Inszenierungen maßgeblich beteiligten Frauen? Gibt es feministische Ansätze?

 

„Es ist eine Welt ohne Mitleid. Jeder ist auf sich alleine gestellt.“ Regisseurin Karin Henkel beschreibt das Setting für das von ihr inszenierte Stück „Rose Bernd“ als „ein brutales, reaktionäres Umfeld, gegen das sich die Magd zur Wehr setzen muss.“ Zwar durchschaue Rose das System, letztlich bleibe sie aber allein mit ihrer Not und Schuld. „Ihr Scheitern resultiert daraus, dass sie sich absolut niemandem anvertraut, sondern versucht, alles aus eigener Kraft zu lösen.“ Ihre Kraft reicht nicht aus und ihre Heimlichkeiten und Lügen werden ihr zum Verhängnis. „Die gegnerischen Mächte sind stärker“, so Henkel.

 

Und so geschieht das Unvorstellbare: Rose tötet ihr Ungeborenes, was angesichts der Unausweichlichkeit, die Hauptmann beschreibt, plausibel scheint, findet die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen, die in ihrem Essay „Reigen der Macht“ die Machtkonstellationen der heurigen Festspiele reflektiert hat. „Wenn man so sehr in die Enge gedrängt wird, dass man das Gefühl hat, nicht mehr auszuweichen zu können, ist es vorstellbar, dass man das zerstört, was man am meisten liebt“, sagt sie.

 

Hauptmann hat das Drama auf Grundlage einer realen Begebenheit entwickelt, die er selbst miterlebt hat. Als Geschworener bei einem Gerichtsprozess, in dem eine Kindesmörderin angeklagt war, zeigte er sich tief bewegt vom Schicksal der Mörderin und plädierte für ihren Freispruch. Dass er die ihr nachempfundene Figur als „Kämpferin, die ihre Rechte als selbstbestimmender Mensch, als Frau in einer sehr patriarchalischen Welt einfordert“, ausgestaltet hat, wie es Henkel beschreibt, scheint daher nur logisch. Das Stück zeichne ein „beängstigend rückschrittliches Bild unserer Gesellschaft, ein soziales zwischenmenschliches Klima aus Unterdrückung, Aggression, Angst und Frustration.“

Bronfen spricht von „menschlichem Morast“. Henkel sieht das ähnlich: „Alle sind Opfer und Täter zugleich. Jeder will seine eigene Haut retten.“ Das Erschreckende daran ist, dass wir – bedingt durch aktuelle politische Ereignisse – Szenarien wie dieses wieder für möglich halten. Bronfen erklärt sich das so: „Ganze Teile auch der westlichen Welt wurden zurückgelassen. Wenn man sich überlegt, wie sich Leute in einer Welt, die von Kultur und Gesellschaft verlassen wurde, verhalten, kann man die von Hauptmann gezeichnete Welt gut nachvollziehen“. Henkel: „Die beschriebene Enge eines reaktionären ideologischen Systems könnte erschreckenderweise auch eine alptraumhafte Zukunftsvision sein.“

 

Soziales Versagen ist auch das Thema in „Lulu“. Für die griechische Regisseurin Athina Rachel Tsangaris, die mit Filmen wie „Attenberg“ oder „Chevalier“ internationale Erfolge feierte, ist

Lulu ein Stück über Konsum, in dem gezeigt werde, „wie das Menschliche, die soziale Substanz verloren geht“. „Lulu konsumiert Männer. Sobald sie einen hat, will sie einen anderen. Genauso wird aber auch sie konsumiert. Sie dient den sie begehrenden Männern als Gefäß für ihre Begierden.“ Sobald einem das, was man besitzen wollte, gehört, will man es schon nicht mehr – die Basis der Konsumlust.“ Am Ende sei es nicht wichtig „, so Tsangaris, wer oder was Lulu ist. „Lulu ist diese Lust nach etwas. Es geht um diesen tierischen Antrieb zu erobern.“

 

Bronfen nennt es eine Entmenschlichung durch Kapitalismus. „Wir sehen uns hier mit einer Form des modernen Lebens konfrontiert, in dem schlussendlich alles mit Geld abgegolten wird. Dementsprechend blass bleiben die Leute um Lulu herum, wie Tsangaris betont. „Sie sind einem seltsam fremd.“ Von ihnen weiß man nur, welchen Jobs sie nachgehen, sonst kaum etwas, mit Ausnahme ihrer Besessenheit. Proto-moderne Figuren seien das und Wedekinds Welt so etwas wie ein Spiegel, der den Leuten ihr Begehren, ihre Angst und ihren Neid vor Augen führt.

Elisabeth Bronfen geht sogar einen Schritt weiter: Die auf Lulu projizierten Wünsche würden sie als eigenständige Person auslöschen. Indem sie aber erkennt, dass sie nur das ist, was die Leute in sie projizieren, wird sie zu einer Art „Spielleiterin der Phantasien der anderen.“ Das Radikale liege nun darin, dass bürgerliche Werte wie Wohlstand und Sicherheit keine Rolle mehr spielen. Lulu geht aufs Ganze. „Sie rennt der eigenen Sterblichkeit hinterher.“ Todestrieb und Aufsplitterung der Persönlichkeit haben Tsangaris dazu veranlasst, Lulu zwei Begleiterinnen an die Seite zu stellen. Das heißt: In ihrer Inszenierung wird es drei Lulus geben. Vielleicht war aber auch Mitleid mit der Figur für diesen Schritt ausschlaggebend: „Sie ist so einsam, da wollte ich ihr eine kleine Familie geben.“

 

Real, surreal… wer Tsangaris´ Filme kennt, weiß, dass das Kategorien sind, mit denen sich die Regisseurin nicht aufhält. „Ich weiß auch gar nicht, was es bedeutet, 2017 realistisch zu sein, wo wir doch jeden Moment unseres Lebens in multiplen Realitäten leben. Wir schauen uns an, gleichzeitig schauen wir auf unsere Bildschirme. Was ist reell und was nicht? Ich weiß es nicht. Es gibt zu viele Bildschirme und zu viele Linsen.“ Ihr Realismus ist einer, der in etwa 30 Grad von der Realität abweiche, sagt sie, eine Art idiosynkratischer Naturalismus.

„Im Kino fragte man dich immer nach dem Plot“, erzählt sie. „Die wichtigste Frage aber ist, wie dieser Plot, die vordergründige Erzählung also, den Unterbauch, der den Kern deiner Existenz betrifft, stützt.“

Die vordergründige Geschichte ist klar: Eine Frau wird – Cliché männlicher Phantasie – so begehrt, dass sie zur Zerstörerin wird. Wie aber sieht Lulus Unterbauch aus? „Mich interessiert, was es für sie bedeutet, gleichzeitig das Objekt der Begierde und Zerrstörerin zu sein. Ich will es für sie herausfinden!“

 

Ähnlich wie Lulu sucht und versucht auch Katerina Ismailova in „Lady Macbeth von Mzensk“ ihre Freiheit zu finden – auch durch Sexualität. Die Sopranistin Nina Stemme hat die Rolle schon einmal zu Beginn ihrer Karriere gesungen. Damals, vor sechzehn Jahren, hoffte sie, die Rolle noch öfters zu singen. „Doch dann kamen die beiden Richards (Wagner und Strauss, Anm.) dazwischen“, lacht sie. Schade, denn sie liebt die Rolle, ist sie doch „schwer und lustig zugleich“.

Alles andere als lustig war Schostakowitsch nach der Premiere seiner Lady Macbeth zumute.

Wie es der Schriftsteller Julian Barnes in seinem Roman „Der Lärm der Zeit“ eindringlich beschreibt, lebte Schostakowitsch Jahre lang in Angst und Schrecken. Stalin hatte die Premiere der Oper noch zur Pause verlassen und am darauffolgenden Tag war in der Prawda ein Artikel mit dem Titel „Chaos statt Musik“ erschienen, der ungezeichnet Stalin selbst zugeschrieben wurde und die Oper als unrussisch und Schostakowitsch als Volksfeind bezeichnete.

 

Der Komponist lebte daraufhin in ständiger Angst, von Stalins Schergen abgeholt zu werden. Um seinen Kindern den Anblick zu ersparen, schlich er sich Monate lang nachts in den Hausflur, um dort im Morgenmantel auf seine Deportation zu warten. Und auch wenn er nie abgeholt wurde, entspann sich von der Premiere ausgehend ein enges Netz an politischer Einflussnahme und Erniedrigung, das Schostakowitsch Zeit seines Lebens gefangen halten sollte. Die Oper hatte sein Leben verändert.

 

Die Rolle der Katerina sieht Nina Stemme klar und deutlich: „Sie ist eine starke Frau, physisch wie psychisch. Unter den Arbeitern hat sie einen Status und kann sich durchsetzen.“ Schließlich setzt sich Katerina ähnlich wie der Kommunismus selbst gegen den Feudalismus zur Wehr. Sie wird zum revolutionären Subjekt. Aber letztlich spiele es keine Rolle, was man als Frau macht, so Stemme. „Früher oder später wird man zum Opfer.“ Genauso kommt es: Leere, Einsamkeit und emotionaler Kälte sind zu dominant. In einer solch brutalen, auf Ausbeutung gerichteten Gesellschaft, wie sie Schostakowitsch schildert, wird die Frau auf ihren Körper reduziert. „Kein Geld? Keine Freiheit? Dann wird die Sexualität zur Valuta“, bringt es Stemme auf den Punkt. Man könne die Oper, sagt sie Schwedin, aber durchaus auch im Sinne einer Kampfansage für Gleichberechtigung verstehen. Und obwohl Schweden diesbezüglich als Vorzeigeland gilt, ortet sie noch Aufholbedarf. „Auch wir haben noch einen weiten Weg zu gehen.“

Elisabeth Bronfen sieht das ähnlich: „Es hat sich viel getan in den letzten 100 Jahren“, sagt sie. Aber den Backlash den wir in den letzten zwanzig Jahren auch immer wieder erlebt haben, dürfe man nicht unterschätzen. Frauen und Männer würden immer noch mit Maßstäben gemessen. „Wie sonst ließe es sich erklären, dass Hilary Clinton vorgeworfen wird, für Goldman Sachs einen Vortrag gehalten zu haben, aber Donald Trump unbehelligt lauter Goldman Sachs Leute in seiner Regierung nehmen, einer Frau Unwahrheiten schnell zum Verhängnis werden, während ein Mann permanent lügen darf?“