Lachen aus Verzweiflung

Dimitré Dinev ist bei den Salzburger Festspielen heuer Dichter zu Gast. Der gebürtige Bulgare lernte Österreich im Flüchtlingslager Traiskirchen von ganz unten kennen. Seine Waffe ist die Komik und genau deshalb ist er heute obenauf.

„Woher kommen Sie?“ lautet eine der ersten Fragen wohl jedes Deutschkurses. „Aus der Not“, antwortet der bulgarische Einwanderer Jakob, eine von Dimitré Dinevs Figuren. Auch Dimitré Dinev kommt aus Bulgarien und auch er kam aus der Not hierher. Vor nunmehr achtzehn Jahre emigrierte er aus Bugarien. Reden will er eigentlich nicht darüber, einfach weil er die Geschichte schon tausend Mal erzählt habe. Nur so viel: „Es sind immer mehrere Gründe, die dich veranlassen, alles liegen und stehen zu lassen und es gibt immer einen konkreten Anlass.“ Der konkrete Anlass bei Dimitré war der Sieg der Kommunisten bei den ersten demokratischen Wahlen. „Wieso man gerade die Leute wiederwählt, die einen 45 Jahre lang terrorisiert haben, konnte ich mir mit keiner Dialektik der Welt erklären.“ Dabei war er als Jugendlicher anfangs gar nicht politisch. Gemeinsam mit einem Freund interessierte er sich bloß für die Punkbewegung und ihre Musik. Irgendwann wurde er aufgrund seines auffälligen Äußeren dann aber verhaftet und verhört. „Von da an war ich plötzlich in der Opposition.“

Von Bulgarien weiß der durchschnittliche Österreicher, dass es irgendwo am schwarzen Meer liegt und seit kurzem Mitglied der EU ist. Über Plovdiv, die Stadt, in der Dimitré aufwuchs, weiß man gar nichts. Irgendwann, erzählt er, habe er es auch satt gehabt, immer richtig zu stellen, dass nicht Bukarest, sondern Sofia die Hauptstadt Bulgariens sei. Dann habe er auf die Frage, woher er komme, nur noch mit einem Rätsel geantwortet. „Ich komme aus einem Land, das an das schwarze Meer, Rumänien, Griechenland, die Türkei, Serbien und Mazedonien grenzt.“ Meist erntete er dafür nur ratloses Kopfschütteln. „Aber da ist doch nichts“. „Richtig, habe ich dann immer gesagt. Ich komme aus dem Nichts.“

Alles andere als aus dem Nichts kommt seine Literatur. In ihrer nur scheinbaren, mit tiefgründigem Humor unterfütterten Leichtigkeit steht sie eindeutig in der Tradition der großen Geschichtenerzähler Dostojewskij, Tschechov und Tolstoi. Auch an die Tragikomik von Kieszlowski und Kundera fühlt man sich oft erinnert. Komik scheint Dinevs Stichwort zu sein. Vor allem lachen müsse man können, so der wortgewandte Dichter. In einer chassidischen Geschichte, erzählt er, rät ein Weiser, eine Geschichte müsse stets so geschrieben sein, dass sie einem auch selbst Heil bringe. Und Lachen sei der größte Heilsbringer. Aber wo beginnen sie? Wie entstehen seine phantasievolle Konstrukte? Das sei ein ewiges Geheimnis, meint er und es scheint fast, als spreche er über eine störrische Geliebte, der man besonders viel Respekt entgegenbringen muss. „Immer, wenn man glaubt einen Schlüssel gefunden zu haben, wird man aufs Neue enttäuscht, muss einen neuen suchen.“ Es gelte sich ständig selbst zu überlisten, denn der größte Hemmschuh in der Literatur sei die Absicht, etwas ganz Bedeutendes zu sagen. „Dann scheitert man am Druck. Die Verantwortung tötet jede Lust.“ Eines der besten Lehrbücher fürs Schreiben seien daher die Geschichten aus 1001, denn dort passiere die eigentliche Geschichte immer im Nebensatz. „Der Druck wird auf den Hauptstrang verlagert, um in den Nebensätzen befreit weiter zu schreiben“, was der Realität entspreche, so der Dichter, denn „das Dazwischen ist es, woraus das Leben beschaffen ist.“

Lustvolles Schreiben, das der Komik jenen Platz einräumt, den sie verdient, hat keine große Tradition in Mitteleuropa, wende ich ein. Das wiederum sei eine „komische Entwicklung“, lacht Dinev und sei auch nicht immer so gewesen. Als Gegenbeispiel nennt er einen seiner Lieblingsautoren, den aus Galizien stammenden Joseph Roth. Und Horvath. „Erst der zweite Weltkrieg hat diese Tradition unterbrochen.“ Schon Lubitsch und Chaplin hätten sich über die Nazis lustig gemacht, dann erst wurde es tabuisiert. „Alle Diktatoren verfolgten den Witz. Wegen eines Witzes bist du dort, wo ich herkomme, im Arbeitslager gelandet.“ Dass der Komödie noch immer nicht die Anerkennung zuteil werde, die sie verdiene, dass sie immer noch nicht als vollwertige Kunst rezipiert werde, sei schon eigenartig. Das Schöne an Komödien sei doch gerade, dass der Moment des Scheiterns so klar definiert sei. „Wenn keiner lacht, ist es aus.“ Und die schrecklichsten Geschichten seien ohnedies nur über Humor vermittelbar, meint er. „Sonst sperrt sich etwas in einem dagegen. Man lacht immer aus einer großen Verzweiflung heraus.“ Es sei auch kein Zufall, dass das jüdische Volk so viele Humoristen hervorgebracht hat. „Das Volk, das am meisten gelitten hat, hat den Humor am nötigsten gebraucht. Sonst wäre es zugrunde gegangen“, ist er überzeugt. „Lachen ist ein Weg wieder ins Leben zurück. Lachen ist eine Überlebenswaffe.“ Dass Dimitré das Lachen nicht vergangen ist, grenzt an ein Wunder, denn seine erste Station in Österreich hieß Traiskirchen. Unbeschreibliche Demütigungen habe er dort erfahren, sagt er. Jetzt, Jahre später, liest er bei den Salzburger Festspielen – eine für ihn unfassbare Anerkennung. Langweilig sei ihm auf dieser Achterbahnfahrt, die sich Leben nennt, nie geworden. So viel erlebt zu haben, sagt er, sei das größte Geschenk.

Warum eigentlich Österreich? Die meisten Flüchtlinge damals gingen nach Deutschland, erzählt er. „Doch was die meisten machten wollte ich nie.“ Über Österreich habe er relativ wenig gewusst. „Da habe ich mir gedacht: Vielleicht verstecken die irgendetwas Besonderes.“ Dass Dimitré Dinev nicht mehr über seine Flucht und seine Zeit in Traiskirchen erzählt, ist doppelt schade. Einerseits könnten wir viel davon lernen, andererseits liegt die Vermutung nahe, dass genau wie Joseph Roth auch er von jeder Geschichte, wohl auch von seiner eigenen, unzählige Variationen parat hat, von denen jede einzelne wert ist gehört zu werden. Vieles vom Erlebten fließt, freilich ins Absurde übersteigert und verzerrt, ohnedies in seine Geschichten. Das gibt es Fluchten, die in Särgen bestritten werden und revolutionäre Radios, die den Sex erleichtern. Autobiografisch sei dennoch das wenigste davon, auch wenn er das als Kompliment wertet. „Wenn es jemand für real hält, weiß ich, dass ich irgendetwas richtig gemacht habe.“

In einer seiner Geschichten schreibt er über das ewige Dilemma der Einwanderer: „Man bekommt Arbeit nur dann, wenn man eine Arbeitsbewilligung hat. Und eine Arbeitsbewilligung bekam man erst, wenn man eine Arbeit hatte. Viele Herzen zerbrachen an diesem Paradoxon.“ Sein Herz zerbrach nicht, so viel weiß man schon nach wenigen Minuten Gespräch, denn er sprüht vor Witz und er hat noch viel zu erzählen. Man erkämpft Lichtblicke, heißt es dort weiter. Dimitré Dinev hat viele solcher Lichtblicke erkämpft. Nicht nur, aber vor allem in seiner Literatur.

Dimitré Dinev wurde 1968 in Bulgarien geboren, besuchte das Bertolt-Brecht-Gymnasium in Plovdiv. 1990 floh er nach Österreich und studierte Philosophie und russische Philologie in Wien. Sein erster Roman Engelszungen wurde mehrfach ausgezeichnet. Am Wiener Volkstheater wird gerade sein Stück „Heikle Angelegenheit. Die Seele“ aufgeführt, eine Komödie über die letzte Reise des toten Bauarbeiters Nikodim Stavrev. Im Herbst will er seinen nächsten Roman in Angriff nehmen.