Der eigene verzweifelte Atem

Nils Petter Molvaer ist einer der weltberühmtesten Trompeter und ein wahrer Magier des Sounds. Im Rahmen von Jazz & the City kommt er zu einem Gastspiel nach Salzburg. Ein Gespräch über Musik, die wie langsame Ozeanwellen auf einen zukommt, das Norwegen nach dem Amoklauf auf Utøya und den Raum, den einem Techno gibt.

Ich neues Album „Switch“ klingt sehr homogen – beinahe wie ein Soundtrack. Eine Art Songbook mit einzelnen Kapiteln. Zufall oder Absicht?
Ein bisschen von beidem. Ich wollte etwas mit Steel-Guitar machen – das ist der rote Faden, der sich durchzieht. Und für mich gilt es immer eine große Form finden, in der man eine gewisse Dynamik erzeugen kann. Natürlich sind es einzelne Songs, aber eben auch – wie Sie sagen – eine Art große Form.

Was war für dieses spezielle „Band-Feeling“ verantwortlich?
Den Musikern, die auf diesem Album spielen, musste ich nicht sagen: Tu dies, tu das. Ich musste sie nur in eine Richtung lenken, und sie wussten ganz genau, was dann zu tun ist. Es geht also sehr viel um Freiheit – auch in der Interaktion.

Sie haben einmal gesagt, Sie würden es in den USA wohl nie schaffen, weil sich dort nur wenige für ihre Art von Musik interessieren. Denken Sie, dass Ihre Musik durch den Sound der Steel-Guitar dem, was man dort versteht, näher gerückt ist?
Ich sage ja so viele Dinge (lacht). Grundsätzlich denke ich aber über so etwas nicht nach. Wir gehen einfach raus und spielen. Und dabei möchte ich verschiedene Farben ausprobieren, mein Instrument in verschiedene Kleider hüllen. Ohne einen Plan zu haben, wie ich damit möglichst viele Leute erreiche. Aber ja, vielleicht würden sie es besser verstehen. Doch der eigentlich Grund, warum das Album klingt wie es klingt, war dieses Video von Daniel Lanois, das ich vor einigen Jahren sah: Da entfaltete sich die ganze Persönlichkeit dieses Instruments – wie langsam auf dich zukommenden Ozeanwellen. Eine besondere Qualität von Schönheit.

Wenn Sie die Zeiten, als Sie begannen Alben aufzunehmen und live zu spielen, mit heute vergleichen: Glauben Sie, dass die Menschen noch denselben Hunger nach Musik verspüren wie damals?
Das Bedürfnis nach guter Musik ist größer denn je. Gleichzeitig hat sich die ganze Szene aber in eine One-Hit-Streaming-Situation verwandelt und das Album als Form uninteressant gemacht. In dieser Umgebung ein Konzert zu spielen und es Leuten zu ermöglichen, die Energie zu spüren und zu teilen, halte ich für wichtiger denn je.

Im Vergleich zum üblichen Katzenjammer der Branche eine sehr optimistische Sicht der Dinge.
Naja. Die Möglichkeit zu streamen hat schon viel ruiniert. Wenn du einen Song hast, der 300.000 gestreamt wird, bekommst du dafür vielleicht zwanzig Euro. Das ist doch lächerlich. Wenn man sich Spotify, Google und Youtibe anschaut, ist das alles nur konsumorientiert. Der einzige Zweck ist, damit Geld zu machen.

Macht sie das wütend?
Eher traurig. Wenn du früher auf einem großen Plattenlabel 300.000 Alben verkauftest, hast du damit der Firma ein gutes Einkommen beschert. Und wenn das eine Label war, das tatsächlich in Musik interessiert war, hat es einen Teil des Geldes in tolle unbekannte Musik investiert. Ein kalkulierter Verlust also, aber wichtig, um die musikalische Vielfalt zu erhalten.
In diesem Sinne beseitigen die neuen Modelle die Farbenvielfalt in der Musik, weil man sich auf Justin Bieber und langweiligen Euro-Trash-Techno konzentriert. Deshalb ist es umso wichtiger, raus zu gehen und zu spielen. Direkt und pur.

Hören Sie privat viel Musik?
Das kommt ganz darauf an. Jetzt im Urlaub wurde ich durch meine Tochter zwangsverpflichtet.

Was hört sie?
(lacht) Hits. Aber, wenn ich wandern oder laufen gehe, höre ich keine Musik. Ich mag es, die Natur um mich zu hören. Viele Leute gehen nur noch mit Headset laufen. Das könnte ich nie. Ich möchte, wenn ich laufe, meinen eigenen verzweifelten Atem hören. Manchmal aber überkommt es mich wie ein Rausch: Da höre ich einen Song, und dann hantle ich mich weiter – quer durch die Bandgeschichte und so weiter. Das ist das, was Spotify leisten kann.

Wie ein Wasserhahn, den man einfach aufdreht?
Genau. Es ist einfach da. Aber obwohl da hunderte Millionen Songs drin sind und es mich unterhält, zerstört es trotzdem die Musik.

Zerstört es nicht auch ein wenig das Geheimnis, das früher neue Musik umgab. Man hielt ein Vinyl in Händen und fragte sich, wer dieser geheimnisvolle Nils Petter Molvaer wohl sei, dessen Cover ein schönes Artwork ziert, von dem man sonst aber nur wenig weiß.
Klar. Als Junge trug ich, um ein wenig Geld zu verdienen, Zeitungen aus. Wenn ich genug Geld beisammen hatte, nahm ich das Boot ans Festland und ging in den Plattenladen, um mir das neueste Led Zeppelin-Album zu kaufen. Diesen Duft von Papier und Vinyl werde ich nie vergessen. Das war Magie. Viele Freunde kamen dann vorbei, um die neue Musik zu hören. Wir saßen zusammen, tranken, rauchten, hörten die Platte und unterhielten uns. Ich weiß nicht, ob diese Magie verschwunden ist, aber sie ist zumindest versteckt. Denn was ist schon magisch an einem Wasserhahn? Wenn wir nicht wollen, dass die Musik zum Merchandising-Artikel verkommt und genauso gehandelt wird wie ein Kühlschrank oder ein Sweatshirt, müssen wir und ernsthaft Gedanken machen.

Was sagen Sie dazu, dass bei Ihren Videos af Youtube vorher eine Werbung eingespielt wird?
Eine Schweinerei ist das. Nicht nur, dass jeder, der mein Video sehen möchte, zuerst die lästige Werbung wegdrücken muss. Jemand – und ganz sicher nicht die Musiker – macht auch noch viel Kohle damit. Aber ich möchte mein Leben nicht damit verschwenden, verlorenem Geld nachzujagen und Leute zu verklagen. Ich möchte mich voll und ganz auf die Musik konzentrieren.

Sie sind auf einer kleinen Insel aufgewachsen. Hat das Ihre Musik und die Art, wie Sie spielen, beeinflusst?
Schwer zu sagen. Jedenfalls hatte ich viel Glück, in Norwegen und nicht in Gaza, im Norden Nigerias oder im Ghetto von Mumbay geboren worden zu sein. Und dort aufzuwachsen hat mich sicher als Mensch geformt. Und natürlich sollte die Musik, die du spielst, diesen Menschen reflektieren. Also, ja. Ich bin sicher, dass hatte einen Einfluss. Wie groß der ist? Keine Ahnung.

Wie beurteilen Sie die Stimmung in Norwegen seit dem katastrophalen Attentat von Anders Breivik?
Norwegen ist viel gespaltener als vorher. Die Internet-Trolle, die anonymene Rassisten, die in irgendwelchen Foren ihre Schmutzkübel entleeren, sind sichtbarer geworden. Die Regierung ist konservativer, der Wind bläst mehr von rechts als noch vor ein paar Jahren, aber das tut er ja fast überall. Dadurch aber wird auch die andere Seite wieder sichtbarer. Es gibt mehr Konfrontation.
Norwegen ist ein Land das vor Reichtum stinkt, aber nichts davon abgeben will. Wie ein verzogenes, kleines Gör, und voll von reichen Leuten, die auf ihren fetten Hintern sitzen, und Shitstorms im Internet mit ihren kleinen Hasstiraden befeuern.

Gemeinsam mit Moritz von Oswald haben Sie ein Minimal-Techno-Album eingespielt. Hatten Sie vorher überhaupt eine Beziehung zu dieser Art von Musik?
Definitiv. Mitte der 1990er kam ich das erste Mal in Kontakt mit Techno. Vor allem das minimalistische trancy-Zeug hat mich sofort in seinen Bann gezogen.

Gingen Sie damals auch in Clubs, um zu tanzen?
Manchmal ja. Wenn ich breit genug war (lacht) Scherz beiseite: Ein bisschen hab ich schon auch getanzt.

Wenn Improvisation und ein so minimalistischer Techno-Rhythmus aufeinander treffen: Hat man da Angst, dass einen der konstante Beat in der eigenen Freigeistigkeit limitieren könnte?
Absolut. Aber die Herausforderung ist es, dafür umso präziser zu werden. Weil es so unglaublich viel Raum gibt… Dadurch wird es enorm wichtig, dass das, was man tut, wohlüberlegt ist und etwas bedeutet.

Was kann das Publikum in Salzburg Wird es hauptsächlich Songs von „Switch geben“?
Ja, aber auch alte Songs in neuem Gewand und einige ganz neue. Das Konzert wird eine Reise: Wir gehen an den einen Ort, an einen anderen. Mal biegen wir links ab, mal rechts. Und wir werden versuchen, die Intensität hoch zu halten.

Vielen Dank für das Gespräch.