Der Durst nach Menschen

Anette Dasch hat es von der Berliner Punk-Göre zur weltweit gefeierten Opern-Diva geschafft. Bei den Salzburger Festspielen singt sie die Donna Anna. vision.altstadt traf sie in ungewöhnlicher Mission.

Vor einem großen Auftritt lange Reden zu halten ist kein Konzept, dem Opernsänger viel abgewinnen. Üblicherweise ist da Stimmschonung angesagt. Nicht so bei Annette Dasch. Vor ihrem Liederabend im Mozarteum schob sie kurzerhand einen Schulbesuch ein. Sie mache das öfter und die Kids nähmen es an, erzählt sie uns später, was wohl mehr an ihrer lockeren unverblümten Art liegt als an dem eingangs gemeinsam geschmetterten Kanon liegt. „Auf ihr Freunde kommt und singt, bis es immer besser, immer besser klingt“ hallt es da mehrstimmig durch die Gänge, in denen sonst allenfalls Gangsta-Rap und Techno aus der ipod-Konserve dringen.

Wenn Annette Dasch aus ihrem bewegten Leben erzählt, wird schnell klar, dass sie die Sprache der Jugend spricht. Nicht, weil sie es gelernt hat, sondern weil es die ihre ist. Den Beruf der Opernsängern habe sie immer sie als „krass“ empfunden, so die Berlinerin. Das kommt erst mal an. Komische Sachen in komischen Kleidern zu machen, sei gar nicht ihrs gewesen, fährt sie fort. „Dann noch dieses Klischee, dass, wer Musiker werden will, bis zu acht Stunden täglich üben müsse…“ Die Fleißigste sei sie nie gewesen. Nach der Matura wollte sie erst mal ein Jahr herumhängen. Richtig orientierungslos sei sie gewesen, bis ihre Schwester Katrin, die neben ihr sitzt und sie abends wie so oft am Klavier begleiten wird, sie zum Robert Schumann-Wettbewerb anmeldete. „Und dort“, so Dasch, „haben wir gerockt“. Zwickau war der erste von drei Wettbewerben, die die Schwestern für sich entschieden. Die Tür in Richtung Karriere stand plötzlich weit offen. Zum Studieren ging sie weit weg nach München. „Wäre ich in meiner Clique geblieben, wäre ich keine Sängerin geworden.“ Ein Blick in die Runde genügt, um zu sehen, dass die Schüler gebannt an ihren Lippen hängen. Anfängliche Bedenken, nicht zu viel und zu laut zu reden, hat die Sopranistin längst über Bord geworfen.
Ob sie denn manchmal noch Lampenfieber habe, will eine Schülerin wissen. Natürlich wolle sie sich, „wenn das Herz auf dreiviertel Zwölf hängt“ manchmal im Klo einsperren, so Dasch. „Aber dann halte ich kurz ein und versichere mir, dass Nervosität nichts bringt, denn es ist ja genau das, was ich machen will. Es ist ja gerade nicht wie beim Abitur.“ Gelächter. „Das tun zu können, was mir Spaß macht und mir entspricht, ist ein unglaublicher Luxus.“ Im Anschluss wurde uns der Luxus eines Kurzinterviews zuteil.

Ist die Donna Anna eine Traumrolle?
Schon, obwohl: Als ich die Elvira spielte, war das auch eine Traumrolle. Das geht einem bei Mozart-Rollen öfters so. Jede, die man gerade macht, kommt einem als die beste vor.

Haben sie einen speziellen Bezug zu Salzburg?
Ich finde Salzburg toll, weil ich Salzburg viele schöne Erlebnisse verdanke. Viele karrieremäßig wichtige Schritte habe ich hier vollzogen.

Gabs´ da irgendwann den Moment, wo sie merkten, jetzt habe ich´s geschafft.
Nie. Ich habe es ja auch nicht geschafft. Ich muss ja im Sommer erst mal hingehen und diese Rolle rocken. Und selbst dann kann ich nicht sagen: Ich hab´s geschafft, weil dann schon das Nächste anliegt. Man hat es im Leben wohl nie geschafft.

Gibt es auf diesem beschwerlichen Weg erleuchtende Momente?
Es gibt Momente des Glücks und solche, in denen man merkt, dass man nach langer Zeit, die man sich durch das Chaos wühlte, einen großen Schritt getan hat,

Sie veranstalten eine Kombination aus Liederabend und Talk-Runde namens Annette Dasch-Salon.
Ich möchte den Leuten das Kunstlied schmackhaft zu machen, weil immer weniger Leute in Liederabende gehen. Ich wollte keinen starren Liederabend veranstalten, sondern auch mit den Leuten sprechen. Man sitzt auf dem Sofa und unterhält sich locker.

Das heißt, der Abend hat klassische Talkshowelemente?
Ja, aber nicht auf populärer Ebene. Gehaltvoll, aber trotzdem heiter. Es geht in den Gesprächen um Musik und es wird auf sehr hohem Niveau musiziert, sonst würde ich das nicht machen

Hat diese Form der Präsentation Zukunft?
Auf jeden Fall. Mich haben schon diverse Konzerthäuser und Festivals kontaktiert, ob ich nicht einen Salon bei ihnen abhalten möchte. Im Kunstlied gibt es derzeit ein Publikum, das zu den Superstars kommt. Die anderen muss man erst gewinnen. Für sich und das Lied.

Kommt das Projekt auch deshalb so gut an, weil das Feuilleton so ausgetrocknet ist?
Gerade in Berlin, wo es ein Überangebot an Kultur gibt, war es schon erstaunlich, dass das Publikum derart ansprang. Die Leute dürstet nach den Menschen hinter den Fassaden, was auch damit zu tun hat, dass die meisten Künstler durch Werbe- und Imagekampagnen aufgebaut werden. Die Leute interessieren sich aber nicht für Image, sondern für Menschen.

Mit Image wird neuerdings ja auch in der Klassik sehr stark gearbeitet. Sperren Sie sich da dagegen?
Schon, ja. Das geht mir ziemlich auf die Nerven.

Eine mediale Verwertung wie im Falle Netrebko käme für Sie nicht in Frage?
Nein, ich hätte Angst, nicht als die wahrgenommen zu werden, die ich bin. Wenn ich mich auf ein Image – ob nun handfeste Berliner Göre oder Märchenprinzessin – festlege, werde ich immer drauf reduziert und diese Reduktion würde mich sehr unglücklich machen. Beim Musikzieren ist mir Authentizität wichtig.
Einer so breiten Öffentlichkeit kann man zwar kein umfassendes Bild von dem, was man als Mensch ist, zeigen, aber man kann es zumindest versuchen.

Ganz ohne Image geht es aber doch auch bei Ihnen nicht. Sie vermitteln doch auch, sie wären der Ex-Punk.
Das stimmt ja auch als Lebensgeschichte. Ich finde es aber traurig, dass genau das es ist, was bei den Leuten ankommt.

Sie wollen nur als Musikerin wahrgenommen werden?
Das wäre mir am liebsten.

Kann das heute denn überhaupt noch funktionieren?
In den Medien vielleicht nicht, aber mit dem Publikum funktioniert es. Ich wünsche mir ein Publikum, das nicht in Schablonen steckt, sondern darauf hört, was ihnen die Musik durch mich zu sagen hat, und nicht im Mittelpunkt steht, welches Kleid ich trage. Das ist natürlich sehr idealistisch aber man darf es als Ziel vor Augen haben.

Gibt es eine Traumrolle, etwas, das noch unbedingt sein muss?
Da gibt es noch einige, die mir fehlen. Die Vitella zum Beispiel ist mir eigentlich auf den Leib geschneidert ist. Ich würde auch nicht zögern, in zehn oder fünfzehn Jahren einmal die Sieglinde zu singen. Das würde mir in ferner Zukunft unglaublich viel Spaß machen.

Sie sind derzeit mit Engagements wohl ziemlich ausgebucht. Wie entspannt man da noch?
Indem ich mich jetzt irgendwo in die Sonne setze. Man muss für sich selbst merken, wann es zu viel wird.

Manchmal übersieht man diesen Punkt wohl auch?
Oft sogar. Das ist wohl auch die viel größere Aufgabe junger Sänger als die und die Partie zu singen oder eben nicht zu singen. Was einen wirklich kaputt macht ist zu lernen, wie viel man sich selbst zumuten kann.

Sich Freiräume zu schaffen ist harte Arbeit.
Ja, aber das ist erst der nächste Schritt. Der erste ist, überhaupt inne zu halten und zu merken, wo und wie ich gerade bin. Wir funktionieren alle viel zu sehr von außen.
Künstler sind viel mit anderen Menschen zusammen, nehmen viel von den anderen wahr und verlieren dadurch ein bisschen den Draht dafür, wie es einem eigentlich selber geht.