Die perfekte Welle

Nach der Heim-WM in Schladming peilt Lizz Görgl schon das nächste Ziel an: Die olympischen Winterspiele in Sotchi. In ihrer Wohnung in Innsbruck verriet das Ski-As Wüstenrot, wo sie entspannt, was den „Flow“ ausmacht und wie beim Spitzensport auch der Mensch mitkommt.

Sie gelten als sehr ruhig. Ist diese Ausgeglichenheit das Geheimnis Ihres Erfolges? Oder welcher Taktik bedarf es, um sich im Skisport dauerhaft in der Weltspitze zu behaupten?
Zunächst einmal braucht man den Willen, sich selbst und die Gesamtsituation immer wieder zu hinterfragen und Fehler zu analysieren. Dabei gilt es Ruhe zu bewahren und sich immer wieder auch bewusst zurückzuziehen, um zu reflektieren und Kraft zu tanken. Wenn man permanent auf hundert ist, wird man früher oder später krank oder eine Verletzung bremst einen aus. Alles ein wenig ruhiger anzugehen ist viel zielführender als übertriebener Perfektionismus.

Was natürlich leichter fällt, wenn man schon gewisse Erfolge vorweisen kann…
Freilich. Der Grat ist ein sehr schmaler. Ich bin auch jemand, der sehr hart zu sich selbst sein kann und öfter einmal zu viel will. Umso wichtiger ist es innezuhalten, durchzuatmen und anzuerkennen, dass es gut so ist, wie es ist.

Sie selbst blieben in Ihrer Karriere vor Verletzungen nicht verschont.
Nein. Bis zwanzig hab ich mir drei Mal das Kreuzband gerissen. Zwei Mal musste die Beugesehne, ein Mal die Patella als Ersatzmaterial herhalten.

Und da dachten Sie nie ans Aufhören?
Beim zweiten Mal – da war ich siebzehn – hab ich sofort gewusst, dass es wieder das Kreuzband ist. Da bin ich nachher im Schnee gesessen und hab ich mich gefragt, ob ich´s nicht bleiben lassen soll. „Nein“, hab ich mir gesagt, „das war´s sicher noch nicht. Ich hab noch so viel vor.“

Was haben Sie heute noch vor? Was sind Ihre nächsten Ziele?
Nach der Heim-WM sind klar die olympischen Spiele in Sotchi das nächste große Ziel, dann die WM in Vail. Aber ganz abgesehen davon geht es mir einfach darum, so Ski zu fahren, wie ich es will, die Schwünge so zu treffen, wie ich mir das vorstelle. Der Sport an sich reizt mich. Man lernt nie aus. Gerade was die Abstimmung zwischen Mensch und Material anbelangt, gibt es immer etwas zu verbessern.

Ans Aufhören denken Sie also auch heute noch nicht?
(lacht) Irgendwann möchte ich schon aufhören, aber so lange ich Spaß und das Gefühl habe, noch besser zu werden, möchte ich weitermachen.

Vielen Sportlern fällt es auch schwer, sich nach großen Erfolgen wieder zu motivieren. Ihnen nicht?
Nein. Was meine Ziele anbelangt ganz und gar nicht. Aber man erreicht schon einmal den Punkt, an dem der Körper einfach nicht mehr will. Nach einer langen Saison etwa. Und da muss man dann auch einmal wirklich gar nichts machen – auch wenn das manchmal schwerfällt.

Fährt bei Ihnen – vor allem bei schwierigen Abfahrten – manchmal auch die Angst mit?
Angst nicht, nein, die hemmt einen. Aber Respekt und Vorsicht sind notwendig, um hochkonzentriert zu arbeiten und sich ans Limit heranzutasten. Es ist wie bei einem Auto, das man warm fahren muss. Genauso brauch ich eine gewisse Betriebstemperatur, um optimale Leistung abzuliefern. Und wenn dann alles zusammen passt, macht es irgendwann „Klick“ und es stellt sich ein „Flow“ ein.

Was genau verstehen Sie unter dem „Flow“?
Einen Zustand, in dem alles wie von selber geht, weil die Sine ganz scharf sind. Man glaubt zu schweben – ganz langsam und bei vollem Bewusstsein, während man in Wahrheit unglaublich schnell ist. Im Ziel fragt man sich dann: „Wow. Was war das jetzt?“ Das erlebt man nicht sehr oft und es braucht dazu eine lange Vorlaufzeit. Aber wenn es passiert, ist es unglaublich. Dann passt alles zusammen.

Gut zusammen passen offenbar auch Lizz Görgl und Wüstenrot. Was bedeutet Ihnen diese Partnerschaft?
Sehr viel. Wüstenrot ist ein sehr engagierter und starker Partner, und wir verfolgen eine ähnliche Philosophie. Unsere Zusammenarbeit geht auch weit über das Sponsoring, d.h. das Schild an meinem Kopf, hinaus. Wir haben schon gemeinsame Skitage verbracht und ich wurde zu Management-Tagungen eingeladen, um dort Vorträge zu halten. Das macht großen Spaß und bringt beiden Seiten etwas: Der Weg, den ich gegangen bin, kann ja auch leicht jemanden im normalen Berufsleben inspirieren. Und umgekehrt ist die Leistung, die ein Top-Manager täglich bringen muss, auch Inspiration für mich.

Sie sind viel unterwegs. Worauf legen Sie besonderen Wert, wenn Sie zu Hause sind?
Ruhe und Abgeschiedenheit, denn leider habe ich einen sehr leichten Schlaf. In meiner alten Wohnung war der Straßenlärm eine Belastung. Hier kann ich nachts die Fenster aufmachen, das ist eine ungeheure Qualität. Und trotzdem bin von hier aus in zehn Minuten im Zentrum. So etwas findet man in einer Stadt nicht gerade leicht.

Was ist Ihnen bei der Einrichtung Ihrer Wohnung wichtig? Worauf legen Sie Wert?
Wärme ist mir wichtig. Deshalb auch habe ich die Fotos im Gang aufgehängt. Die weißen Wände waren mir zu kalt. Und die persönliche Note muss da sein. Was Innenarchitekten zaubern, gefällt mir meistens schon, aber eine Wohnung muss mit ihrem Eigentümer mitwachsen. Ich mache daher am liebsten alles selbst. Und dafür braucht man Zeit – Zeit, ein Bild zu malen; Zeit, zu überlegen, welche Fotos zu einem passen.

Haben Sie ein Lieblingsstück?
Nicht nur eines, sondern viele. Aber meine rote Couch und mein Bio-Alkohol-Ofen, der mich im Winter wärmt, hab ich schon ganz besonders gern.

Was machen Sie, wenn Sie zu Hause entspannen wollen?
Ich starte den Tage gern, indem ich mich sammle und ruhig bin. Wenn ich um halb sieben aufstehe, genieße ich zuerst einmal das Morgenrot auf meiner Terrasse, setz mich hin und meditiere ein bisschen, wenn es das Wetter zulässt. Wenn es nicht so schön ist, mach ich mir ein Feuer.
Am Wochenende schlaf ich mich gerne aus, gehe mit einem Freund in die Stadt bummeln und Kaffee trinken.
Da ich eher der Typ bin, der sehr schnell Muskeln aufbaut und auch schnell einen Tonus bekommt, habe ich eine Sauna im Bad und einen Whirlpool auf der Terrasse. Das brauche ich einfach, um nach dem Training wieder locker zu werden.

Wissen Sie schon, was Sie nach Ihrer aktiven Karriere beruflich machen wollen?
Ich kann mir vorstellen, meine Erfahrung – sei es nun im Motivationsbereich oder auch im Sportlichen – an andere weiter zu geben, dem Skisport also in beratender Funktion erhalten zu bleiben.
(überlegt eine Weile) Oder ich mache etwas ganz anderes, wer weiß.
Dass es so offen ist, empfinde ich als Glück. Ich möchte auch nur etwas machen, wenn ich das Gefühl habe: Das ist es. Kompromisslösungen sind meines nicht.

Michael Phelps meinte nach seinem Rücktritt auf die Frage, was er jetzt vorhabe, er werde versuchen, den Menschen Phelps besser kennen zu lernen. Offenbar hat er dem Sport alles, auch das Menschsein, untergeordnet. Bei Ihnen hat man diesen Eindruck ganz und gar nicht.
Ich werde oft gefragt, wieso ich erst mit dreißig Weltmeisterin wurde. Die Antwort ist:
Weil ich mich seit fünfzehn Jahren auch ganz stark mit mir selber auseinandersetze, um auch als Mensch mitzukommen. Erfolg zu haben, ihn aber dann nicht richtig einordnen und verarbeiten zu können, ist tragisch. Bei mir hat es ein wenig länger gedauert, dafür kann ich ihn genießen. Und Sport ist auch nicht alles. Das Wichtigste ist, drauf zu kommen wer man selbst ist.

Welchen Beruf hätten Sie ergriffen, wenn es mit dem Skifahren nicht geklappt hätte?
Das hab ich mich auch schon oft gefragt. Singen ist eine Sache, die mir sehr viel Spaß macht.
Dass ich zum Beispiel den WM-Song singen durfte, war großartig. Aber als Beruf könnte ich´s mir nicht vorstellen.
(überlegt) Ich glaub, dass ich auch ohne Skifahren irgendwo im Sport gelandet wäre. Vor zwei Jahren hab ich mit Windsurfen begonnen. Ja, vielleicht wäre ich Surferin geworden.