Perfekter Ruhepuls

Er war Österreichs erfolgreichster Radprofi. Heute bastelt Georg Totschnig in Zell am Ziller an seiner zweiten Karriere: einer frisch eröffneten Immobilienkanzlei.

Als Georg Totschnig im Herbst 2006 seine Radsportkarriere beendete, gab es für ihn, so erzählt er uns bei einem Espresso in seinem Büro, eigentlich nur zwei berufliche Alternativen: Entweder ein eigenes Team gründen oder etwas völlig anderes machen. Dass es dann das „Völlig Andere“ wurde und er heute seine Arbeitstage nicht mehr auf dem Fahrrad, sondern hinter dem Computerschirm verbringt, lag zunächst einmal an der schwierigen Phase, die der Radsport damals gerade durchmachte. Zahlreiche prominente Doping-Fälle hatten dazu geführt, dass alte Sponsorenverträge nicht mehr verlängert wurden und neue Geldgeber ausblieben. „Es war eine Zeit zwischen Hoffen und Bangen“, erzählt der gebürtige Innsbrucker. „Und besser geworden ist es seither auch nicht wirklich.“ Tatsächlich steht der Radsport immer noch immer an der Kippe – ein Umstand, der den Tour de France-Etappensieger nachdenklich und ratlos zugleich macht. Durch verstärkte Kontrollen werde einerseits der Versuch unternommen den Sport zu reinigen, andererseits zerstöre man dadurch seine Identität, so Totschnig. „Da den richtigen Weg zu finden, ist nicht einfach.“ Die im Anti-Doping-Kampf immer wieder beschworene völlige Transparenz jedenfalls sei eine Illusion, denn ob Pharmaindustrie, Ärzte oder Manager: sie alle machen Geschäfte mit dem Sportler und deshalb werde es auch immer wieder jemanden geben, der sich etwas Neues einfallen lässt.

„Dass es im normalen Leben um etwas anderes geht als Etappen zu gewinnen, musste ich erst lernen.“

Back To The Roots
Etwas Neues ließ sich daher auch Totschnig einfallen. Immobilien hätten ihn immer schon interessiert, sagt er. Und als dann auch noch der Schwiegervater ab und an von seiner Tätigkeit als Bauträger berichtete, war schnell der Entschluss gefasst. Er absolvierte am WIFI die Ausbildung zum Makler und Bauträger. „Zeit hatte ich ja. Dass es im normalen Leben um etwas anderes geht als Etappen zu gewinnen, musste ich allerdings erst lernen.“ Anfangs sei er schon schräg angeschaut worden und viele missverstanden das Erscheinen des Ex-Sportlers bei den Kursen auch. „Oft wurde ich gefragt, ob ich jetzt einen Vortrag halte“, lacht er. Heute ist die Sachlage klarer: Er betreibt in Zell am Ziller selbständig eine kleine Immobilienkanzlei, bei deren Aufbau ihm die im Radsport gezogenen Lehren, allen voran die, wonach sich die wahre Leistung nicht in Geld bemessen lässt, sicher zugute kamen: „Nur weil man nach einem Teamwechsel plötzlich doppelt so viel verdient, ist man noch lange nicht doppelt so gut. Manchmal muss man zurück den Wurzeln, dann kommt auch die Leistung wieder. Ähnlich ist es, wenn du im Job nicht bei der Sache bist, weil du jeden Tag nur an das Wochenende und an die Ferien denkst. Dann wirst du auch nie wirklich gut sein.“
Wirklich gut war er beinahe zwei Jahrzehnte Jahre lang im Profirennsport. Eine Rückkehr dorthin schließt er jedoch aus. „Ich bin schon zu weit weg.“ Dass es mit dem Traum eines eigenen Teams nichts wurde, liege auch an der mangelnden Flexibilität des Verbandes, meint er. Schon als er noch aktiv Rennen fuhr, habe er angeboten, sich für Jugendprojekte unentgeltlich als Testimonial zur Verfügung zu stellen. Ohne Ergebnis. Dann unternahm er vor zwei Jahren noch einmal einen Anlauf, indem er half, in Tirol ein Jugend-Team auf die Beine zu stellen. Seine Vision: Die besten U23-Fahrer aller Bundesländer sollten gemeinsam als Jugendnationalteam bei der Österreich-Rundfahrt starten. Eine spannende Geschichte, der die Medien sicher Beachtung geschenkt hätten, für die sich das Reglement der Tour aber als zu starr erwies. Schade findet Totschnig, denn ein Verband, der nichts mit Fußball oder Skifahren zu tun hat, müsse Ideen entwickeln. Sich nur am Dopingsünder Kohl abzuputzen, wonach diesen quasi die Alleinschuld am Ausbleiben von Sponsoren treffe, sei vor allem eines: billig. „Man hatte viele, viele Jahre Zeit, um etwas auf die Beine zu stellen und hat es schlicht und ergreifend verschlafen.“ Schließlich habe der Schwimmverband gezeigt, dass man auch als Randsportart erfolgreich sein kann.

Schöne Aussichten
Doch gerade als Totschnig in Fahrt kommt, lenkt er auch schon wieder ein. „Sudern“ wolle er nicht, sagt er. Wir beschwichtigen: Wer sich kein Blatt vor den Mund nimmt, ist vom „Sudern“ weit entfernt. Dazu hätte Totschnig auch wenig Grund: Er ist glücklich verheiratet und dreifacher Vater. In Raumsau-Bichl im schönen Zillertal, hat er der Familie am Hang liegend ein Haus mit schöner Aussicht bauen lassen. Hell musste es sein, das war ihm wichtig. Für die innen ausgewogene Mischung aus mediterranem Stil und die durch Holz und Holzofen vermittelte Gemütlichkeit sorgte vor allem Frau Michaela. „An ihr ist eine Innenarchitektin verloren gegangen.“

Gibt es denn einen speziellen Platz aber, an dem er besonders gern entspannt? Totschnig überlegt angestrengt. „Eigentlich nicht, weil die Kinder einfach alles einnehmen und wir nur ständig am Hinterherräumen sind“, lacht er. „Ruhige Stunden gibt es selten. Fernseh-Couch und Leseecke – das alles ist auf später verschoben.“ Dann fallen ihm puncto Entspannung doch noch zwei Besonderheiten ein: Zunächst einmal die Sauna, die – „weil wir etwas Gemütliches nicht im kalten Keller verstecken wollten“ – im ersten Stock liegt und mit Schlafzimmer und Badezimmer verbunden ist. Und sein privater Weinkeller, dessen Ausbau ihn zwei Wochen intensive Arbeit kostete, der mit seinen alten Wappenversehenen Ziegeln aber „viel schöner ist als man ihn bei einer Firma je kaufen könnte“. Dass er einen Kellerraum roh gelassen hatte, erwies sich dabei als besonders vorteilhaft. „So kommt der Erdgeruch rein.“

Kein Zweifel, Georg Totschnig ist in seiner zweiten Karriere zur Ruhe gekommen. „Hätte ich ein Team, wäre ich wohl jetzt gerade im Trainigslager und nicht mit den Kindern Skifahren“, bringt er es auf den Punkt. Und auch wenn so dem österreichischen Radsport eine ihrer größten Integrationsfiguren abhanden kam, seiner Frau und den Kindern wurde ein Familienmensch geschenkt.

Georg Totschnig über…

… Radsport made in A
In der breiten Masse hat es sich extrem zum Besseren gewandelt, aber der Spitzensport ist komplett rückläufig. Der Verband hat so viel damit zu tun, die Österreich-Rundfahrt halbwegs auf die Füße zu stellen, dass alles andere, insbesondere die Jugendförderung brach liegt.

… das Armstrong-Comeback
Für einen derart krisengebeutelten Sport ist es nur gut, wenn sich auch wieder Medien interessieren, die nicht rein auf das Radfahren fokussiert sind. Die Entscheidung selbst werte ich aber eher als ein Zeichen der Schwäche. Die Zeit kann man nicht aufhalten und aufhören tut man besser nur einmal.

… das Einfrieren von Doping-Proben
Davon halte ich gar nichts. Wenn noch nach Jahren Titel aberkannt werden können, ist für mich als Fan der Sport gestorben.

… seine Lieblingsstrecke
Lüttich-Bastogne-Lüttich – ein Klassiker, der auch für Bergfahrer geeignet ist. Die Begeisterung der belgischen Fans ist kaum fassbar. Besonders gern fuhr ich auch In Spanien und dort vor allem im Baskenland.

… Spaß im Profi-Zirkus
Am meisten Spaß hatte ich im Team Bolti mit den Stars Bugno und Abduschaparow. Die Italiener haben einen anderen Zugang zum Sport. Sie betreiben ihn nicht, sie leben ihn. Bei den nachfolgenden Teams ging es mehr Geld gegen Leistung.

Georg Totschnig – Erfolg & Familie

Georg Totschnig war in seiner Profi-Karriere (1995-2006) Etappensieger bei der Tour der France (Aix-3-Domaines), Tour de Suisse, mehrfacher österreichischer Staatsmeister, österreichischer Meister im Einzelzeitfahren und Sportler des Jahres 2005. Bei den großen Rundfahrten Tour de France, Giro Italia und Vuelta Espana konnte er sich mehrfach in den Top Ten klassieren.

Heute läuft er mehr als er radelt und lebt mit Frau Michaela und seinen drei Kindern Emma (11), Maximilian (4) und Josef (2) in Ramsau-Bichl im Zillertal.